Quartiersentwicklungen sind einzigartige Chancen, ungenutzte urbane Potenziale in Metropolen zu heben und Leerstellen im Stadtraum mit attraktiven und intelligenten Nutzungen zu füllen, die den urbanen Raum beleben. Sie erfordern aber heutzutage auch ein facettenreiches Management bei der Umsetzung, um den vielfältigen Bedürfnissen der Stakeholder gerecht zu werden.
Lutz Keßels, Geschäftsführer der Quartier Am Humboldthain GmbH und Head of Project Development bei der Coros Management GmbH, sieht daher einen Dreiklang aus intelligentem Nutzungskonzept, frühzeitiger Einbindung der Stakeholder in den Entstehungsprozess und nachhaltigem Bauen als erfolgskritisch für die Umsetzung komplexer Projekte.
Herr Keßels, warum macht es Ihnen Freude, sich mit Stadtbrachen oder dysfunktionalen Gebäuden auseinanderzusetzen?
Wenn ich heute durch meine Heimatstadt Berlin gehe, dann sehe ich immer noch sehr viele Orte, die nicht gut funktionieren oder aber auch solche, die nicht besonders vorausschauend entwickelt oder saniert wurden. Nach der Wende hatten wir riesige Chancen, Berlin neu zu denken. So wurden zum Beispiel die Friedrichstraße und der Potsdamer Platz mit hoher Geschwindigkeit entwickelt, aber sie zählen heute nicht gerade zu meinen Lieblingsorten, und vielen Berliner:innen geht das, glaube ich, genauso. Nach der Wende sollte die Friedrichstraße schnell wieder glänzen. Entstanden ist unter anderem eine recht kühle Passage. Zudem lädt der starke Verkehr auch nicht gerade zum Flanieren ein. Auch der Potsdamer Platz ist heute ein Ort mit wenig Aufenthaltsqualität, hier dominiert ebenfalls der Individualverkehr, zudem sind die Erdgeschosszonen wenig attraktiv. Auch eine gute Fassadengestaltung von berühmten Architekten führt allein nicht zu einem funktionierenden Quartier, das Thema ist viel komplexer. Es war damals auch nicht der Ansatz mehr Beteiligte einzubeziehen und zu fragen: Was möchten die Menschen eigentlich für ihre Stadt erreichen? Was hat langfristig Bestand? Mein Antrieb ist es, Metropolen wie Berlin oder München durch funktionierende Quartiere attraktiver, lebenswerter und nachhaltiger zu gestalten.
Nun spielten in den 1990er-Jahren Themen wie Nachhaltigkeit oder auch die Bedürfnisse der Menschen vor Ort weniger eine Rolle. Ist das nicht ein besserwisserischer Rückblick?
Natürlich ist es richtig, dass wir vor 30 Jahren nicht die heutigen Erkenntnisse hatten. Aber schon damals wurden die erwähnten Projekte kontrovers diskutiert. Ein Kritikpunkt war, dass man sich wenig Zeit für eine sorgfältige Planung genommen hat. Es war verständlich, dass man Berlin als Hauptstadt schnell wieder aufbauen wollte, das geschah dann aber auch am Bedarf vorbei. Ende der 1990er-Jahre kam dann sehr schnell die große Ernüchterung, und viele Flächen standen leer. Unser Anspruch als Immobilienunternehmen ist es, uns stetig weiterzuentwickeln und unter anderem mit Fachbeteiligten aus der Verwaltung und der Zivilgesellschaft einen qualifizierten Dialog zu führen, um bessere Stadtquartiere zu bauen als vor 30 Jahren. Wir wollen so auch neue Impulse für die Branche setzen und zeigen, dass eine Quartiersentwicklung unter Einbindung der lokalen Bedürfnisse möglich ist und damit eine lange Lebens- und Nutzungsdauer der Immobilien gesichert werden kann.
Wie sehen denn gelungene Quartiere für Sie heute aus?
Das kann man so pauschal nicht beantworten. Jedes Quartier oder Gebäude ist anders. Und der Weg zum optimalen Konzept ist immer wieder ein neuer und spannender Arbeitsprozess. Aber ich kann Ihnen die aus meiner Sicht heutigen erfolgskritischen drei Faktoren nennen, die sich untereinander bedingen:
Erstens: Die Nutzungskonzepte sollten langfristig angelegt sein. Wie bekommen wir mehr Qualität in innerstädtische Quartiere? Das ist eine Herausforderung. Dabei müssen wir wieder einen Mix aus Angeboten schaffen, die unterschiedliche Funktionen mit hoher Aufenthaltsqualität verbinden. Angebote aus den Bereichen Kultur, Freizeit, ein attraktives gastronomisches Angebot und Grünflächen, die zum Beispiel in Gewerbestandorte eingebunden sind, können eine Antwort auf dysfunktionale Quartiere oder Gebäude sein.
Zweitens: Die möglichst frühe Beteiligung und Einbindung der Stadtgesellschaft ist essenziell für das Gelingen von Quartiersprojekten. Quartiere leben auch vom Dialog mit ihrer Umgebung.
Nutzungskonzepte und Gestaltung hängen also wesentlich von den Bedürfnissen vor Ort ab. Damit ein Quartier langfristig attraktiv, wirtschaftlich erfolgreich und möglichst resilient ist, lohnt es sich, lokale Stakeholder als Wissensträger in den Planungsprozess zu integrieren. Mit ihrem Know-how, ihren Alltagserfahrungen und Interessen tragen sie dazu bei, ein langfristig nachhaltiges Quartierskonzept mit passender Nutzungsmischung zu erarbeiten. Das sorgt dann auch für hohe gesellschaftliche Akzeptanz – und ist damit im besten Sinne nachhaltig.
Und drittens: Akzeptanz erreichen wir nur dann, wenn wir überzeugend darlegen können, dass unser Tun die Stadt ökologischer und perspektivisch emissionsarm macht. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und dessen Folgen für dicht besiedelte Stadträume ist das von herausragender Bedeutung. Hier gilt: Nachhaltiger Neubau wo nötig, Sanierung und Revitalisierung wo möglich. Dazu gehört auch die Antwort auf die Frage, wie wir dafür sorgen, dass die Objekte im Betrieb nach der Errichtung oder einer Sanierung ökologisch vertretbar sind.
Sie sprechen von der Einbindung der Stakeholder vor Ort. Nun sind innerstädtische Immobilienprojekte und Immobilieninvestments in der Regel erstmal umstritten. Wie gelingt es Ihnen, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage herzustellen?
Kritiker von Bauprojekten gibt es immer, das liegt in der Natur der Sache. Wenn am Ende eine Mehrheit für das Projekt ist, spielt das aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Am Beispiel der Quartiersentwicklung Am Humboldthain (QAH) in Berlin-Mitte zeigen wir, wie lokale Stakeholder als Wissensträger positiven Einfluss auf die städtebaulichen Themen nehmen können. Dort haben wir nach dem Prinzip der „offenen Projektentwicklung“ ein transparentes Werkstattverfahren initiiert, um in mehreren Fach- und Bürgerdialogen gemeinsam mit Anwohnern, Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Ideen für die Projektkonzeption und den späteren Nutzungsmix herauszuarbeiten.
Unser Blatt Papier war erstmal weiß. Wir sind in die Gespräche nicht mit Architekturkonzepten gegangen, um sie durchzusetzen, sondern wir hatten zu diesem Zeitpunkt ganz bewusst keine. Wir haben mit allen Stakeholdern ergebnisoffen gesprochen und sie mit ihrem Wissen, ihren Wünschen und Interessen an einen Tisch geholt. Durch die Aktivierung und Einbindung lokaler Stakeholder als Wissensträger gewinnt ein Projekt enorm. Auf Basis der Ergebnisse aus dem Werkstattverfahren haben wir den Architektenwettbewerb ausgelobt. Zudem ermöglicht der frühzeitige Stakeholder-Dialog, lokalen Anspruchsgruppen den Gestaltungsrahmen eines Projektes besser zu erklären. So befindet sich das QAH in einem ausgewiesenen Gewerbegebiet mit Produktion, in dem der Wohnungsbau aus nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen wird.
Herr Keßels, abschließend die Frage, wie sieht für Sie die Stadt der Zukunft im Jahr 2050 aus?
Städte entwickeln sich, ob wir das qualifiziert steuern oder nicht. Wenn wir es schaffen Vertreter der Politik, der Unternehmen, der Zivilgesellschaft und der Investoren an einen Tisch zu bekommen, ergebnisoffen in den Dialog zu gehen und dann auch danach zu handeln, haben wir gute Chancen, in dem Dreiklang aus intelligenten Nutzungskonzepten, frühzeitiger Einbindung relevanter Stakeholder und nachhaltigem Bauen gemeinsam die Stadt der Zukunft zu gestalten. Wir legen jetzt die Grundlagen dafür, dass wir aus dem 30-Jahre-Zyklus des Abreißens und Neubauens herauskommen.
Wir sollten das zirkuläre Bauen ernst nehmen. Darunter fällt neben der Aufwertung und der Aktivierung des Gebäudebestandes über Green Refurbishments möglichst die Implementierung eines geschlossenen Kreislaufs, um im Fall des Rückbaus oder Abrisses die Gebäudematerialien wiederzuverwenden und so Emissionen und Abfall zu vermeiden. Die Stadt der Zukunft zeichnet sich durch funktionierende, mischgenutzte und inklusive Quartiere aus. Wenn wir diese Ideen für die Stadt von morgen beherzigen, werden wir am Ende alle Gewinner sein.